Sonntag, 1. Dezember 2019

Symbiose

(Diese Kurzgeschichte kann spuren von "Cookies" enthalten und ist von der wunderbaren SeelenSplitter vertont worden unter https://youtu.be/AA6hIbW6vM8 )


Sein Name war Jonas. Wir lernten uns im Krankenhaus kennen, nachdem der Bus, in dem wir beide gesessen hatten, in einem katastrophalen Unfall verwickelt worden war.
Nur wenige hatten überlebt und die, die aus dem gröbsten raus waren, hatten meist irreparable Schäden erlitten. So auch Jonas und ich. Glassplitter und ein unbekanntes Projektil beschädigten seine Augen so stark, dass er wohl für immer Blind sein würde. Ich selbst konnte meine Beine nicht mehr bewegen und war seit dem Unfall an einen Rollstuhl gebunden.
In dieser schweren Zeit lernten wir uns näher kennen. Wir wurden schnell sogar fast symbiotisch. Während er mich und meinen Rollstuhl als Stütze verwendete und mich durch das Krankenhaus und den angrenzenden Park schob, gab ich ihm die Anweisungen, wann und wie er laufen konnte. Es war fast so, als wäre die Welt in Ordnung, wenn wir zusammen waren. Er wurde meine Beine und ich seine Augen.
Wir gingen immer häufiger nach draußen und redeten sehr viel miteinander und noch bevor wir das Krankenhaus verlassen durften verliebten wir uns ineinander und wurden ein Paar. Es passte alles so perfekt zusammen, dass ich mich nicht traute ihm zu sagen, dass mein Körper längst Fortschritte machte und ich meine Beine sogar wieder bewegen konnte. Und so lebte ich die Lüge weiter.

Er lebte in einem kleinen Haus am Stadtrand, welches er von seinen Eltern geerbt hatte und auch sonst hatte er keine Verwandten mehr. Und ich selbst wohnte nur fünfzehn Minuten Fußweg von ihm entfernt. So fuhr ich mit dem Rollstuhl fast täglich zu ihm, um ihn in seinem Leben zu unterstützen. Ich hoffte dabei immer, mich würde niemand den ich kenne dabei sehen und so aufdecken, dass ich bereits sogar wieder laufen konnte.
Das ging eine ganze Weile gut, doch als ich einmal in einem Gespräch meine Familie erwähnte, hatte Jonas die Idee bekommen, meine Familie kennenlernen zu wollen.
Fortan drehte es sich immer wieder mal darum und jedes einzige Mal ließ ich mir irgendeine fadenscheinige Ausrede einfallen, warum das gerade nicht gehen würde. Einmal mehr erwies sich seine Blindheit als ein großer Vorteil für mich. Man hätte mir meine Verlegenheit bestimmt, dass ein oder andere mal, angesehen.
Ich meine, natürlich wäre es mir lieber gewesen, wenn er gesund geworden wär und seine Augen nicht vor Scham ständig hinter dieser hässlichen Brille verstecken würde, aber auf diese Weise, konnten wir unser Leben so weiterführen wie bisher.

Eines Abends, wir hatten gemeinsam gekocht und gegessen, äußerte er wieder mal den Wunsch, meine Familie kennenlernen zu wollen. Er würde es sich so sehr wünschen, weil er doch keine eigene Familie mehr hatte. Als mir auf Anhieb keine passende Ausrede einfiel und ich zögerte, erhob er den Vorwurf ich würde ihn nicht vorstellen wollen, weil er mir peinlich wäre und bat mich zu gehen. Dabei stand er auf und wollte sich unbeholfen Richtung Küche vortasten. Übereilt gab ich nach und sagte zu. Versprach ihm, dass ich ihn gleich morgen mal mitnehmen würde und das nicht er es war, der mir peinlich wäre, sondern meine Familie.
Das war natürlich beides falsch. Der eigentliche Grund war ja schließlich, dass meine Familie längst von meiner vollständigen Genesung wusste.
Aber es hatte seine Wirkung getan. Jonas beruhigte sich wieder und lächelte mir liebevoll und glücklich zu.
Während er im Anschluss weiterhin versuchte zur Küche vorzudringen, kam Panik in mir auf. Ich liebte ihn so sehr. Ich wollte ihn und sein lächeln nicht verlieren. Die Wahrheit, würde mir alles nehmen. UNS alles nehmen. Ich wollte nicht, dass unsere Liebe im Streit auseinander geht, also fasste ich den Entschluss uns beide zu töten, bevor es soweit kommen könnte.
Lieber tot und für immer vereint, als ein Leben ohne ihn.
Ich nahm das Tranchiermesser vom Tisch und stand aus meinem Rollstuhl auf. Barfuß schlich ich mich in die Küche und an ihn heran.
Ich hob das Messer und wollte Zustechen, da drehte er sich erschrocken um, schlug mir das Messer aus der Hand und stieß mich weg. Dabei stürzte ich so unglücklich, dass ich mit dem Kopf aufschlug und verstarb.
Das letzte, was ich sah war, wie er sich die Brille runterriss und mir panisch in die Augen sah. Auch er konnte scheinbar längst wieder sehen und hatte sich nicht getraut mir was zu sagen.

Seid dem Tag trauert er und erstickt an seinen Schuldgefühlen. Aber er kämpft. Macht weiter.
Und ich bin tot, jedoch nicht verschwunden. Mein Geist klebt an ihm und ich muss ihm jeden Tag bei seinem Leid zusehen, ohne das ich ihm jemals zeigen kann, dass ich noch da bin.

Ich kann mich wieder mal nicht bewegen und er mich nicht sehen.
Nur diesmal... Ist es für immer...

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